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RISC
2005: erfolgreich verlieren lernen!
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Feuerwehrausbildung muss realistisch, schlimmer als der Ernstfall und fordernder
als die Wirklichkeit sein: ist sie aber meistens nicht. Doch eine Ausnahme
gibt es: Das europäische Feuerwehrtrainingszentrum RISC in Rotterdam.
Nirgendwo in Europa ist Ausbildung so realistisch, so praxisbezogen
und so extrem wie in Rotterdam. Auch 2005 (vom 29.8. bis 1.9.2005)
organisierte der Vorsitzende des Bezirksfeuerwehrverbandes Oberbayern,
Gerhard Bullinger, einen RISC-Spezialkurs
für oberbayerische Feuerwehrmänner, Ausbilder und Führungskräfte,
bei dem auch Feuerwehrler aus dem Landkreis Rosenheim teilnahmen.
Dass
Bayerns stärkster Bezirksfeuerwehrverband anwesend war, wurde vor
dem RISC-Gebäude durch die von Gerd Bullinger und uns aufgezogene
Fahne des Bezirksfeuerwehrverbandes signalisiert. Das hatte schon Stil!
Am ersten Tag ging es nach einem (sehr) kurzen theoretischen Block sofort
zur Brandbekämpfung im Containerlager. Die Alarmmeldung war knapp
und – wie so oft – wenig hilfreich: Brand in einem Containerlager,
vermutlich Personen vermisst!
Die erste Erkundung brachte schon etwas mehr Licht in die Sache. Mit
Hilfe einer Wärmebildkamera, die von den Kollegen aus München
mitgeführt wurde, konnte man von außen sofort 2 Brandherde
lokalisieren: Einer im unteren Behälter, der zweite oben im mittleren
Bereich ganz hinten. Als kleine Bosheit unseres langjährigen Trainers
Ad Moest, war der Zugang nicht ebenerdig, sondern nur über den oben
liegenden Behälter möglich. Der Einsatzleiter schickte 2 Trupps
mit je 3 Mann zur Menschenrettung und Brandbekämpfung in das Objekt.
Um durch Dampfbildung das Vorrücken vor allem in die unteren Bereiche
nicht unnötig zu erschweren, wies er die Trupps an, die Brandherde
nur durch kurze Wasserstöße aus dem Hohlstrahlrohr unter Kontrolle
zu bringen, aber keinesfalls abzulöschen. Parallel dazu begann ein
weiterer Trupp die Container von außen zu kühlen (wie bei
der Bekämpfung von Schiffsbränden), um ohne Dampfbildung die
Temperatur im Inneren zu reduzieren. Nachdem die erste vermisste Person
relativ schnell gerettet werden konnte – es war die Holzpuppe Heinrich – stellte
sich heraus, dass noch eine zweite Person im Behälter war. Trotz
Wärmebildkamera dauerte die Suche mehr als 35 Minuten. Die zweite
Person war aus Fleisch und Blut und somit für eine Wärmebildkamera
erfassbar. Die zweite Person war allerdings unser Kollege aus Unterschleißheim
Jürgen Weiß und obendrein unser zweiter Busfahrer! Wir hätten
ihn im richtigen Leben wohl verloren!
Diese Übung haben wir leider nicht bestanden. Erstes Frusterlebnis:
Einsatzablauf zwar hervorragend, aber bei der Personenrettung versagt!
Das Ganze wurde noch ein zweites Mal durchgeführt, hier wurde eher
traditionell – also ohne Wärmebildkamera – vorgegangen.
Jetzt war man schon nach 15 Minuten erfolgreich und erlöste den
nicht ganz leicht zu transportierenden Jürgen (ca. 90 kg plus Atemschutz
plus passiver Widerstand) aus seiner Hitzekammer. Bei dieser zweiten
Menschenrettung waren die Verfasser (Feuerwehr Bad Aibling, BtF Mondstraße
Holding AG) im Trupp. Das ganze führte bei dieser Aktion schon ziemlich
an oder sogar über die Leistungsgrenzen. Nach einer dringend notwendigen
10-minütigen Pause ging es dann zum Mittagessen.
Erster Punkt für uns!
Der Nachmittag versprach etwas weniger anstrengend zu werden, weil bei
der geplanten Industriebrandbekämpfung im Training keine Atemschutzgeräte
getragen werden müssen. Doch auch hier kam es anders. Was der fehlende
Pressluftatmer an Erleichterung brachte, wurde hier durch brüllende
Hitze und unsäglich viel Wasser (eine absolut schmierige, salzige
und trübe Brühe) wettgemacht.
Der erste Teil des Einsatzes befasste sich mit der Gasbrandbekämpfung.
Hier lernt man sehr schnell, dass Gasfeuer beherrschbar und lenkbar ist.
Das Übungsziel war die Bergung (!) von unserem guten (Holz-)Heinrich. Auf
den echten Jürgen hatte man aus gutem Grund dieses Mal verzichtet: hier
gibt es nämlich Temperaturen bis über 1.000 Grad Celsius.
Vorgegangen
wurde mit 2 Trupps (je 3 Mann), an der Schulter vom Zugführer gelenkt,
bis der angekokelte Heinrich geborgen werden konnte. Bei diesem Einsatz
sind
insgesamt 4 Trupps nötig: 2 zur seitlichen Sicherung und 2 zum Vorgehen.
Die Hohlstrahlrohre der beiden vorgehenden Trupps werden so justiert,
dass der Sprühstrahl gerade von groben Tröpfchen auf Feinsttröpfchen
umschaltet. Besonders wichtig ist für die beiden Trupps unmittelbar
am Feuer: Hände weg vom Wasser-Stopp-Hebel. Ad Moest half hier auch
immer wieder durch Schläge mit seinen schweren und vor allem wassergetränkten
Handschuhen nach.
Die Lage beim zweiten Einsatz war: „Gasfeuer in
einer Industrieanlage,
Achtung halb gefüllter Treibstofftank in unmittelbarer Nähe!“ Hier
wurden richtig überlegte Widerstandslinien und Riegel definiert und dementsprechend
der Einsatz aufgebaut. Es wurde mit der Kühlung der angrenzenden Behälter
begonnen. nachdem bereits alle Kräfte mit allen Rohren verfügbar waren
(klotzen, nicht kleckern), konnte auch das sich plötzlich ausbreitende Treibstoff-Feuer
beherrscht und Richtung Kläranlage gelenkt werden.
Der Punkt ging dieses Mal an uns! Die Motivation stieg weiter!
Doch Ad Moest wäre nicht Ad Moest, wenn er sich nicht in Absprache
mit Gerd Bullinger ein Schmankerl für uns aufgehoben hätte:
Die Lage: „Es brennt ein fast voller Tank, die Flüssigkeit
tritt über das Überdruckventil aus. Zur Verfügung stehen
6 Pulverlöscher (12 kg) ein M-Schaumrohr und ein S-Schaumrohr. Der
Tank hat einen Durchmesser von ca. 5 m und eine Länge von ca. 15
m“ ...und schon ging es los.
Das Feuer am Tank begann sich immer stärker zu entwickeln, erst brannte
es nur im oberen Bereich in der Nähe des Ventils, inzwischen war aber
mehr oder weniger der gesamte Tank in Flammen gehüllt. Der Einsatzleiter
analysierte die Situation richtig. Der Tank war voll, also keine Explosionsgefahr,
die Feuerlöscher ohne Nachkühlung sinnlos, also gab es folgenden
Einsatzbefehl: „Alle Feuerlöscher mit 2 Trupps in Angriffsnähe
des Tanks bringen, Abdecken des Geländes mit S- und M-Schaumrohr. Vorbereiten
von 2 Rohren zur anschließenden Kühlung der Tanks.“ Auch hier
gilt: erst wenn alles vorbereitet ist, dann erst wird losgeschlagen. Alles
andere funktioniert nicht! Gesagt getan: Es gelang tatsächlich das Feuer
am und um den Tank durch die beiden virtuos vorgehenden Trupps mit nur 4 Pulverlöschern
zu ersticken...und jetzt das einsatztaktisch Wichtigste: Kaum war das Feuer
erloschen, der letzte Pulverstoß hing noch in der Luft, setzten alle
Rohre sofort zur Nachkühlung ein. Das scheinbar Unmögliche war gelungen:
Feuer aus, nach bereits 10 Minuten.
Auch der Punkt ging an uns! Wir wurden leicht überheblich!
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Das Abendessen war Lohn für den gelungenen und sehr
anstrengenden Auftakt. Alle Teilnehmer zogen sich relativ früh ins
Bett zurück. Ad Moest hatte beim Abendessen von vielen fürchterlichen
Dingen erzählt, die er für den zweiten Trainingstag mit uns
plante.
Der zweite und letzte Ausbildungstag führte uns endlich zur Flashover-Bekämpfung
im holzbefeuerten Brandcontainer. Hier kam wieder die Münchener
Wärmebildkamera zum Einsatz. Bei der ersten Gruppe, die sich in
und an diesem Objekt versuchte, ging alles planmäßig, nur
das Feuer war etwas mühsam zum Flashover zu entwickeln, aber schließlich
kam es zu den gewünschten Effekten.
Der
interessante Teil war nun die Verhinderung eines Flashovers. Jeder hatte
nun die Chance an jeder Position diese Übung durchzuführen:
Türe abfühlen, Türe auf, 3 Wasserstöße mit
dem korrekt eingestellten Hohlstrahlrohr im 45 Grad Winkel an die Decke,
Türe zu...durchwechseln! Spätestens nach dieser Übung
fragte man sich, was man denn eigentlich jahrelang mit dem deutschen
Normstrahlrohr so getrieben hat (holländisch: deutsche Wurzel) und
wieso auf den meisten heimischen Fahrzeugen immer noch solche Teile herumliegen!?
Bei der zweiten Container-Gruppe kam es dann zu einem Zwischenfall: Durch Überhitzung
kam es zu einer so heftigen Durchzündung mit erheblichem Druckanstieg,
dass ein Trainer die Ausgangstüre an die Schulter bekam. Die Türe
wurde so heftig aufgeschlagen, dass es selbst die sehr stabilen Türscharniere
aus der Verankerung riss. Nach einer Pause konnte der gezeichnete Trainer
(hatte auch noch Verbrennungen am Maskenrand) wieder in das Geschehen
eingreifen.
Der Punkt ging an den Container!
Der Nachmittag begann nach einem nicht weiter erwähnenswerten Essen
mit der Brandbekämpfung in einem Hochhaus. Der härteste Teil
der Ausbildung. Die Einsatzmeldung, gewohnt unklar: „Brand im Hochhaus,
möglicherweise Tiefgarage, möglicherweise Personen vermisst!“ Beim
Anrücken gab es dann doch noch etwas Konkreteres: „Person
in der Tiefgarage vermisst!“ Der Einsatzleiter ließ zwei
Trupps zur Menschenrettung und Brandbekämpfung vorgehen. Der erste
Trupp war mit der Wärmebildkamera ausgerüstet. Die Anweisung
war wieder, möglichst wenig Wasser einzusetzen. Denn sonst ist ein
Vorgehen in die Tiefgarage nicht mehr möglich. Eines war klar, Ad
Moest wollte seine verlorenen RISC-Punkte hier wieder zurückholen!
Ab jetzt kam alles etwas ins Rutschen. Der erste Trupp hatte den Zugang zur
Tiefgarage gefunden, konnte sich aber wegen der immensen Hitze nicht entschließen,
die Treppe (unter der es natürlich lichterloh brannte) hinunterzugehen.
Der Mann mit der Wärmebildkamera machte sich ohne seinen Trupp auf die
Socken und wurde sofort von Ad als verletzt ausgesondert und zur Strafe in
den hinteren Teil der brennenden Tiefgarage gesetzt! Inzwischen hatte der zweite
Trupp mit einer unüberlegten Belüftungsaktion im EG und 1. OG das
Feuer so angeheizt, dass sich jetzt beide Trupps weigerten in die Tiefgarage
vorzugehen. Als der Vorschlag, den Keller zu fluten, vom Einsatzleiter abgelehnt
wurde – der kannte den Begriff nur aus der Schiffsbrandbekämpfung
und da heißt der Befehl auch „Schiff fluten“ – kamen
die Trupps unverrichteter Dinge und schwer atmend wieder nach draußen.
Die Rechnung hatten sie allerdings ohne unseren Trainer Ad Moest gemacht. Plötzlich
liefen er und zwei seiner Kollegen schreiend zwischen Trupps und Einsatzleiter
hin und her. Sie schrieen immer wieder das eine. „Da ist ein Kollege
von euch im Feuer, dem müsst ihr helfen“. Die Trupps waren nicht
mehr zu bewegen. Am härtesten war die Aussage eines von der Hitze sichtlich
gezeichneten Kollegen: „Der war selber schuld“.
Der Einsatzleiter hatte, als er die Ausweglosigkeit der Situation erkannte,
seinen Bad Aiblinger Zugführer und dessen Melder inzwischen ausrüsten
lassen und zur Kollegenrettung vor geschickt. Die beiden wussten, es gibt nur
ein mögliches Vorgehen: Schlauch unter Druck über die Treppe nach
unten schieben und dann blitzschnell nach unten gehen (um möglichst schnell
durch den Hitzebereich zu kommen) und dann flach auf den Boden legen und sich
(im etwas kühleren TG-Bereich) erholen, dann am Schlauch zur Menschenrettung
vorgehen. Die Aktion gelang, der Mann konnte gerettet bzw. eher geborgen werden.
Wieder einmal hatte man uns besiegt: zuviel Zeit war zwischen Information und
Auffinden vergangen. Eine ungeschützte Person hätte hier sicher nicht überlebt
und sehr schnell kann so aus einer Rettung eine Bergung werden!
Punkt und Kollegen verloren, schon recht bitter so etwas. Überheblichkeit
war wieder einmal dem Schweiß und dem Frust gewichen.
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Nach einer weiteren ausführlichen Dusche ging es
zur Schlussbesprechung wieder in das Unterrichtsgebäude. Die Bilanz
sah gar nicht mal so schlecht aus. Auch wenn uns allen ständig unsere
Grenzen aufgezeigt wurden, eines haben wir kapiert: Ein gutes Team, überlegtes
Vorgehen und flexible, eigenverantwortliche Kollegen mit klarem Ziel
können weitaus mehr bewegen, als man sich in seinen kühnsten
Träumen vorstellen kann!
Bei der Schlussbesprechung nutzte Gerhard Bullinger die
Gelegenheit, sich bei allen Trainern, unserem (Haupt-)Busfahrer Günter,
unserem lebenden Objekt und zweiten Busfahrer Jürgen (Leiter Fachbereich
4) und bei allen Teilnehmern sehr herzlich für alles Geleistete
bedankte. Jetzt war es allerhöchste Zeit, dass wir uns einmal bei
Kreisbrandrat Gerhard Bullinger (Lkr. Ebersberg) und Vorsitzenden des
Bezirksfeuerwehrverbandes Oberbayern auch endlich einmal dafür bedankten,
dass er seit nunmehr 7 Jahren seinen Urlaub darauf verwendet (sicher
nicht zur Freude von Frau und Kindern), dieses Training nicht nur mitzumachen
(!!), sondern auch zu organisieren. „Herzlichen Dank Gerhard und
auf Wiedersehen 2006 in Rotterdam!“
Bericht und Fotos: Christian Stechl, Josef Höfler,
Wolfram Höfler
Feuerwehr Bad Aibling und BtF Mondstraße Holding AG
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